Abschiebung und Entführung!

Während ihr Ehemannn die gemeinsamen Töchter gerade zur Schule brachte, hörte sie plötzlich ein Rascheln an der Tür. Da standen sie dann - eine größere Gruppe von Männern und Frauen, überaus aggressiv, um die schwangere Frau und ihre dritte, gerade einjährige Tochter kurzerhand zu entführen.

Eine Geschichte, die nach Bandenkriegen in einem fernen Land klingt. Aber es ist eine Geschichte aus Deutschland. Für solche Fälle, so werdet ihr einwerfen, gibt es doch in einem Staat mit herausragenden zivilisatorischen Standards Zuständigkeiten. Behörden, die dem Abhilfe zu schaffen haben. Aber weit gefehlt: die Polizei zu rufen hätte keinen Sinn gemacht - schließlich war es die Polizei, in deren Zuständigkeit diese Entführung viel. Die Frau, um die es hier geht, heißt Gazale Salame, Geschichten wie ihre sind jedoch nicht selten. 17 Jahre lang hat sie in Deutschland gelebt, nachdem sie selbst als kleines Kind mit ihren Eltern aus dem Libanon floh. Nun sitzt sie in der Türkei, ohne Sprachkenntnisse, ohne Hoffnung und Perspektive; getrennt von ihrem Mann und den beiden hier lebenden Töchtern, dafür aber mit ihren mittlerweile zwei jüngeren Kindern – von denen sie eines ohne den Rückhalt ihrer Familie allein in der Türkei zur Welt brachte.

Gewalttätige und brutale Akte dieser Art stehen in der Bundesrepublik auf der Tagesordnung. Jahr für Jahr werden 50 000 Menschen gegen ihren Willen aus Deutschland abgeschoben. Sie laufen für gewöhnlich allerdings nicht unter dem Label „Entführung“ sondern werden im verharmlosenden Neusprech als „Abschiebung“ bezeichnet. Das klingt friedlicher und nicht so nach der stumpfen Gewalt und der entsetzlichen Angst, die solcherlei rechtsstaatliche Maßnahmen begleitet. Da zählt dann auch der dem Staat sonst so heilige Schutz der Familie nichts mehr, wie im Falle von Gazale. Da ist es egal, ob bei der Abschiebung im Flugzeug ein ruhiggestellter Flüchtling erstickt, nachdem er wie ein Paket verschnürt und mit einem Motorradhelm auf dem Kopf in das Flugzeug gebracht wurde, wie im Falle des sudanesischen Flüchtlings Amir Ageeb.

Deutsche sehen über so etwas gerne hinweg. Sie sind ja keine von uns, sie wollten es erst werden. Viele lässt das kalt. Bis dann die freundliche Nachbarin von der Polizei abgeholt wird, bis der Schulfreund des Kindes nicht mehr zum Spielen vorbeikommt. Dann merken wir plötzlich, das es auch hier nicht um Zahlen, sondern um Menschen geht.

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Erschienen am: 28.05.2008 zuletzt aktualisiert: 28.05.2008 23:57 AutorIn: email-address