Kinder kriegen für die Nation…?

Zur zweiten Kampagne „Du bist Deutschland“ (DbD2)

Es bleibt einer/einem nichts erspart, auch nicht eine zweite Welle der Kampagne „Du bist Deutschland“. Zum Antifee soll sie gerade beendet sein. Die Kampagne hatte diesmal eine spezifischere Botschaft. DbD2 kann als ein praktischer Anwendungsfall für den mit DbD1 geschürten Nationalismus betrachtet werden (siehe gesonderten Text zu DbD1). DbD2 präsentiert ein Projekt für die Nation.

„Ja, du machst uns wahnsinnig – vor Glück. […] Du zeigst uns, dass es nie den falschen, sondern eigentlich nur den richtigen Zeitpunkt gibt dich zu bekommen. […] Du bist Deutschland.“ (aus dem TV-Spot)

Die Kampagne fordert mehr Kinderfreundlichkeit für Deutschland – tatsächlich hat sie aber eine klar pronatalistische (= geburtenfördernde) Zielsetzung. Deutlich wird das auch anhand des emotionalisierenden TV-Spots der Kampagne. In dem geht es nicht oder nur am Rande um die Freiräume für Kinder oder die Unterstützung ihrer Entwicklung. Gezeigt werden, oft aus Elternperspektive, (süße) Szenen der Freude, aber auch viele typische familiäre Grenzsituationen (Kinder beschmieren Möbel, hassen Schule, sind krank…). Alles löst sich auf in beruhigender Musik, einem Augenzwinkern und positiven Szenen (wobei Jugendliche in sozial-rassistischer Weise überwiegend negativ repräsentiert sind). Von den echten Problemen von Kindern, Jugendlichen und Eltern kommt in dem Spot nichts vor: Mangelnde Betreuungsmöglichkeiten, Doppelbelastung der Eltern durch Haushalt und Familie und Lohnarbeit, soziale Not, fehlende Freiräume für Kinder und Jugendliche, mangelnde Aufmerksamkeit für sie, Gewalt, Leistungsdruck in der Schule, Bildungskosten, rassistische Ausgrenzung etc. Sagen dürfen die gezeigten Kinder und Jugendlichen im Spot nichts. Wieso sollten sie auch zu Wort kommen, ihre Bedürfnisse stehen ohnehin nicht im Mittelpunkt, sondern ein nationales Projekt zur Erhöhung der Geburtenrate. Wer Teil dieses Projekts ist, wird mit dem Spot auch gleich klar gemacht. Deutlicher als bei DbD1 wird die Nation völkisch konstruiert: Behinderte Kinder tauchen nicht auf, MigrantInnen nur in homöopathischen Dosen, Arme, Kranke, Hässliche oder Menschen aus heruntergekommenen Gegenden auch nicht. Zu all jenen will man lieber nicht „Du bist Deutschland“ sagen.

Der von einer Frauenstimme eingesprochene Text mit den vielen Du-Ansprachen könnte aus der Perspektive einer nationalen Gemeinschaft formuliert sein oder aus der Perspektive von Eltern. Er ist ein Bindeglied zwischen der Aufforderung zum Kinderkriegen und der Botschaft an alle, Kinderfreundlichkeit als ihre nationale Aufgabe zu begreifen. Gegen Kinderfreundlichkeit ist nichts einzuwenden, aber nicht als Pflicht für Deutschland, sondern für die Kinder ist sie wichtig. Die ideologische Indienstnahme der Fortpflanzungsfähigen, die DbD2 anstrebt, ist hingegen als solches schon eine herrschaftliche Anmaßung. Dies auch noch für ein nationales Gebärprojekt mit völkischem Zuschnitt zu versuchen, ist bodenlos. Vor allem, da die Demographie-Debatte in weiten Teilen ein völkisches Hirngespinnst ist. Wieso braucht es unbedingt mehr deutsche Kinder, angesichts von Millionen von Flüchtlingen und Heimatlosen jeden Alters, die gerne hier leben würden? Wieso sollte es überhaupt mehr oder weniger Menschen geben?

Hoffentlich wird kein Kind für Deutschland geboren.

Mehr zur Kinderdebatte steht im Flugblatt „Neun ganz persönliche Gründe (keine) Kinder zu kriegen …und was leicht übersehen wird“ – es ist an typischen Flugiverteilstellen zu finden und auf unserer Homepage.

Schöner Leben Göttingen, Mai 2008


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Erschienen am: 28.05.2008 AutorIn: email-address