180°:

Jenseits von Nischenklitschen und Revolutionsromantik

Anforderungen und Grenzen emanzipatorischer Selbstorganisations- und Freiraumpraxis


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Freiräume, als Teil politischer Praxis, sind in der Linken heiß umstritten.

Auf der einen Seite wird eine unmittelbare Gesellschaftsveränderung durch eigenes individuelles Verhalten angestrebt. Durch eine Umstellung der Lebensgewohnheiten, über die die eigene Existenz jenseits von Markt und Staat organisiert werden soll (etwa durch Containern, Hausbesetzungen etc.), soll eine individuelle Überwindung der kapitalistischen Zwänge erreicht werden. Dass diese Vorstellung, der Ausstieg aus der kapitalistischen Verwertungslogik könne allein durch Containern vollzogen werden, sehr schnell an ihre Grenzen stößt, wird deutlich, wenn mensch sich die Bedingungen ansieht, unter denen die weggeworfenen und containerten spanischen Tomaten von prekarisierten Migrant*Innen geerntet werden.

Auf der anderen Seite lehnen Leute Freiraumkonzepte ab, da sie diese nur als Projekte begreifen, die die gesamtgesellschaftliche Situation nicht verändern. Eine „wirkliche“ Veränderung sei nur durch eine schlagartig vollzogene Aktion möglich, welche die Gesellschaft als Ganzes überwindet. Eine solche Umwälzung würden sie dann Revolution nennen. Aktivist*innen, die sich in Freiraumprojekten engagieren, wird von dieser Position aus vorgeworfen, eine Praxis ohne Theorie, oder im besseren Falle noch eine Praxis wider die Theorie zu machen. Sie würden sich aus der wirklich wichtigen, revolutionären Praxis herausziehen.

Das mit der Revolution ist allerdings nicht ganz so einfach, wie viele lange Zeit gedacht haben. Nicht nur mutet das Bild aus dem 19. Jahrhundert, in dem ein Haufen kühner Recken mit dem Gewehr im Anschlag das Rathaus stürmt, um dann im Anschluss an erfolgreich vorgenommene Liquidierungen die neue Fahne zu hissen, anachronistisch an. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie sich Denken und Verhalten von Menschen grundlegend innerhalb eines Tages verändern sollen. Bis in die 1970er Jahre war dieses Bild vom heroischen Freiheitskämpfer in der Linken dominant. Auch heute noch zeugen "Che Guevara"-Shirts und ein unsäglicher autonomer Militanzfetisch von dieser recht simplen Sicht auf die Welt, in der Gut und Böse sich auf zwei sauber getrennten Seiten der Barrikade aufstellen und um das Wohl und Wehe der Welt kämpfen.

Eine Praxis, die auf gesellschaftliche Veränderungen zielt, muss daher die Beschränktheit beider Positionen berücksichtigen, ohne die berechtigte Kritik an der jeweils entgegengesetzten Position auszusetzen. Einen Versuch, die Umrisse einer solchen Position zu skizzieren und erste Implikationen für alternative linke Praxis anzureißen, legen wir hiermit vor.

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